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Big-Tech liebt Mini-Shops

Volt News
01.06.2022 Lesezeit: 4 Minute(n)
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Ein Tante-Emma-Laden an einer Ecke in Delhi fällt nicht weiter auf. Es ist nur einer von vielen. Doch Millionen von Mini-Shops erinnern daran, dass sie das Rückgrat der Wirtschaft und für viele Menschen lebensnotwendig sind. E-Commerce-Unternehmen wittern die Chance, die traditionellen Shops zu digitalisieren, ihr Geschäftsmodell auszubauen und dabei zu profitieren.    

Im Westen geht man in der Regel in einen Supermarkt, um sich mit alltäglichen Dingen einzudecken. Die Betreiber wollen nebst Zahnbürsten, Socken und Teekochern auch ein Einkauferlebnis bieten, um die Konsumlust zu entfachen. In Asien und Südostasien gehen viele Menschen in Läden gleich um die Ecke, die nicht so herausgeputzt sind. Manchmal sind es nur einfache Kioske oder Strassenstände. Trotz staubigen Regalen sind sie das wichtigste Bindeglied zwischen Feld und Esstisch. In Indonesien werden fast 80 Prozent der Lebensmittel in traditionellen, so genannten Warungs gekauft. Die Millionen von Mini-Läden weltweit ergeben einen riesigen Markt, der mindestens 900 Milliarden US-Dollar wert ist. Zum Vergleich: Der Markt von allen Supermärkten und Lebensmittelläden in den USA beträgt rund 750 Milliarden US-Dollar.

Tech-Industrie hat Potenzial erkannt

Die Tech-Industrie hat diese Atome des alltäglichen Handels in den letzten Jahren für sich entdeckt. Mehr als eine Milliarde Dollar ist von Risikokapitalgebern in Dutzende von Start-ups geflossen. Diese haben sich zum Ziel gesetzt, Mini-Läden zu digitalisieren. Kein leichtes Unterfangen. Schliesslich gilt es, Gewohnheiten zu ändern, die seit Jahrzehnten, ja zum Teil Jahrhunderten bestehen. Viele Ladenbesitzer bestellen ihre Ware per Telefon, erledigen ihre Buchhaltung auf Papier und schütteln den Kopf, wenn jemand die Red Bull-Dose mit der Kreditkarte bezahlen will. Doch die Digitalisierungswelle erfasst langsam, aber sicher auch die Kleinen. Ismael Belkhayat, der CEO und Mitbegründer von Chari, berichtet, dass sich mehr als 50 000 Geschäfte für seine Buchhaltungs-App angemeldet haben. Sie erinnert die Kunden seiner Kunden daran, ihre Rechnungen pünktlich zu begleichen. Die App des marokkanischen Start-ups Chari bietet auch eine E-Commerce-Plattform, über die Läden ihr Inventar online bestellen können, anstatt die Lieferanten anzurufen und beim Eintreffen der Ware bar zu bezahlen.

Pandemie beschleunigt Entwicklung

Die ersten Start-ups spannten bereits vor einigen Jahren mit Tante-Emma-Läden zusammen. Ein Boom entstand aber erst mit dem Ausbruch der Pandemie.  Die Einschränkungen zwangen die Menschen, Lebensmittel und andere Waren online zu kaufen. Technologieunternehmen waren schnell zur Stelle. Sie boten Apps an, die es den Mini-Läden ermöglichten, Online-Bestellungen entgegenzunehmen und ihr Lager mit billigeren Produkten aufzufüllen. In dieser schwierigen, wirtschaftlichen Lage hatten die Kleinstunternehmer auch ein offenes Ohr für den Vorschlag, ihren Laden als Zwischenlager für Pakete zur Verfügung zu stellen, um zusätzliche Einnahmen zu erzielen.

Jeff Bezos will auch mitmischen

Es wird zwar weltweit in Start-ups investiert, deren Geschäftsmodell auf Services für Mini-Läden gründet, doch ein Grossteil des Geldes fliesst nach Asien und Südostasien. Dort gibt es zig Millionen von kleinen Unternehmen. Die Digital-Commerce-Plattform ShopUp gab letztes Jahr bekannt, dass es 75 Millionen US-Dollar eingesammelt hat. Nie zuvor hat ein Start-up in Bangladesch eine solch grosse Summe eingesammelt. Aber auch etablierte Grossunternehmen und vermögende Einzelinvestoren stehen nicht abseits. Jeff Bezos investierte kürzlich in Ula, ein indonesisches Start-up-Unternehmen. Es hat bereits mehr als 70 000 Einzelhändler für seine Plattform zur Warenbestellung gewonnen. 

Grossbestellungen in China

Das halbe Dorf gibt eine Grossbestellung auf? Das ist geläufig in China. Dort tun sich Nachbarn zusammen, um über die Messaging-App WeChat Grossbestellungen für Lebensmittel aufzugeben und den Rabatt einzuheimsen. Die Lieferung erfolgt an den Besitzer eines kleinen Ladens, der die bestellten Lebensmittel entgegennimmt, lagert und verteilt. Zudem ist er auch die erste Anlaufstelle, falls es Schwierigkeiten gibt mit der Bestellung. Im Gegenzug erhält er einen Anteil von Bestellwert. Amazon hat sich offensichtlich davon inspirieren lassen und sich mit Tausenden von Tante-Emma-Läden in Indien zusammengetan, um ein Netzwerk von kleinen Versandzentren aufzubauen. 

Besser als eine Infrastruktur bauen: die Bestehende nutzen

In Gebieten mit einer schwachen Infrastruktur stehen selbst gewichtige E-Commerce-Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Waren zuverlässig und schnell in die Haushalte zu liefern. Da bieten sich die breit gestreuten Mini-Läden geradezu an für Pick-up-Lieferungen. Mehr als 20 000 kleine Geschäfte haben sich in Indien für das "I Have Space"-Programm von Amazon angemeldet. Sie verpflichten sich dazu, Amazon-Lieferungen in der Nähe auszuführen oder Abholungen zu ermöglichen – gegen ein Entgelt. Dadurch hat Amazon bereits einen Fuss in der Ladentüre und kann weitere digitale Services verkaufen. Diese können die Ladenbesitzer auch in Anspruch nehmen, weil Smartphones und 4G-Verbindungen selbst in den Entwicklungsländern weitverbreitet sind. Die unbändige Lust auf Markteroberungen von Amazon, aber auch lokalen Grössen wie der Reliance Group, sind nachvollziehbar, wenn man sich den Einzelhandel-Markt von Indien vor Augen führt.

Indiens Einzelhandel wächst rasant

(Grösse, in Billionen US-Dollar)

Der indische Einzelhandelsmarkt ist in den letzten ein-einhalb Jahrzehnten alle fünf Jahre um das 1,5-2fache gewachsen.

Quelle: Technopak Adivsors and Nasscom

Die Skepsis überwinden

Es ist allerdings nicht so, dass alle Besitzer von Mini-Läden die Digitalisierung mit offenen Armen empfangen. Walmart, eines der grössten Retail-Unternehmen in Indien, arbeitet bisher nur mit 1.6 Millionen der geschätzten 13 Millionen kleinen Läden im Land zusammen. Einige der Mini-Shops machen Verkäufe unter der Hand. Der elektronische Handel und die daraus entstehende digitale Spur würden es aufwendiger machen, Steuern zu umgehen. Doch selbst für den grössten Teil der rechtschaffenen Ladenbesitzer ist Bargeld die nach wie vor die bequemste Art des Zahlens. Die grösste Hürde für Technologieunternehmen: Sie müssen noch Überzeugungsarbeit leisten, dass ihr Angebot kosteneffizienter und besser ist als das Geschäft auf die traditionelle Weise zu betreiben.  

Lieber kooperieren, statt überrollt zu werden

Schnelle Lieferung, unschlagbar günstige Preise: Amazon hat vor allem in den USA kleinen Läden das Leben schwer gemacht. Das Gleiche muss sich im globalen Süden nicht wiederholen. Die Millionen von Mini-Läden könnten ein vitaler Teil der digitalen Wirtschaft werden. Anstatt dass die Menschen bei den grossen Einzelhändlern einkaufen gehen, könnten sie weiterhin bei den Läden shoppen, die sie seit Generationen kennen. Doch es werden keine angestaubten Läden mehr sein, sondern digitale, kundenfreundlichere Multi-Talente, die gleichzeitig als kleine Lagerhäuser und Drehscheiben für die Lieferung von Lebensmitteln dienen.

Nicht zuletzt ist die Digitalisierung von Mini-Shops in Entwicklungsländern auch ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Wirtschaftszweige wachsen. E-Commerce boomt seit Jahren. Den etablierten Unternehmen, aber auch Start-ups im Online-Handel scheinen die Ideen nicht auszugehen, wie sie neue Märkte erschliessen können. Ebenfalls an dieser Entwicklung partizipieren können volt Investoren.

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